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Meinung Lieferkettengesetz

Nach dem EU-Aus muss auch Deutschland seine Regeln überdenken

Jochen Zimmermann ist Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bremen Jochen Zimmermann ist Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bremen
Jochen Zimmermann ist Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Uni Bremen
Quelle: via Jochen Zimmermann; Sasin Tipchai
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Die EU-Kommission ist mit ihrem Plan gescheitert, Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen haftbar zu machen. Nun sollte auch Deutschland seine eigene Regelung hinterfragen, meint unser Gastautor. So wie es jetzt ist, bedrohe das Gesetz Freiheit und Eigentum.

Deutschland legt vor: Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“, kurz Lieferkettengesetz genannt, verpflichtet große Unternehmen unter Sanktionsandrohung, ihre Lieferketten lückenlos zu überwachen. Nicht aus wirtschaftlichem, sondern aus moralisch-politischem Interesse.

Verlangt werden seit 2023 Einblick und Kontrolle der Lieferkette: von der Beschaffung der Rohstoffe bis zum Endkunden, alle mittelbaren Zulieferer eingeschlossen. Mit einer noch schärferen Regelung nachlegen wollte die EU in Form der europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD – Corporate Sustainability Due Diligence Directive). Doch dieser Versuch ist gescheitert. Die meisten großen Industrienationen wie auch viele kleinere EU-Mitglieder haben sich in der vergangenen Woche, sei es durch Enthaltung, sei es durch offene Ablehnung, dagegen ausgesprochen.

Der Aufschrei in den sozialen Medien ist groß. Von einem Coup der Wirtschaft wird gesprochen, ebenso von einem Verrat europäischer Werte. Verteidiger der Entscheidung hört man kaum. Die wenigen sprechen von einem abgewehrten Bürokratiemonster, erwecken aber den Eindruck, mit einer entschlackten Richtlinie könne man leben.

So argumentieren auch die Vertreter der FDP, die Deutschland zur Verweigerung des CSDDD-Projekts veranlasst haben. Immerhin hatte sich die FDP schon bei der Verabschiedung des deutschen Lieferkettengesetzes – eines Produkts der letzten Merkel-Regierung – gegen ein solches Vorhaben ausgesprochen.

Richtig ist: Die europäische Richtlinie war schlecht gemacht. Die wichtigsten Gründe sind schnell aufgezählt. Die CSDDD sah, erstens, eine eigenständige Kontrolle durch jedes einzelne Unternehmen vor. Diese Regelung vervielfacht Kontrolltatbestände. Wenn zehn Unternehmen fünf Zulieferer haben, führt dies zu 50 Kontrollen, auch wenn nur fünf Unternehmen zu prüfen sind. Das ist ineffizient.

Zweitens begünstigen die Kontrollkosten große Unternehmen, drängen kleine aus dem Markt, und das beschädigt Vielfalt und Wettbewerb. Auch hängen, drittens, Lieferkettengesetze besonders entwicklungsbedürftige Länder vom Welthandel ab und erzeugt hier wie dort Wohlfahrtsverluste.

Doch diese in der Regel vorgetragenen klassischen Effizienzüberlegungen gehen am wesentlichen Problem aller Lieferkettengesetze vorbei: Sie bedrohen durch drei Anmaßungen Freiheit und Eigentum.

Die erste Anmaßung liegt in der Behauptung, Lieferkettengesetze verbürgten universelle moralische Werte. Das stimmt nicht – umgesetzt werden Werte einer Funktionselite von Politikern und NGOs. Allgemein geteilte Werte brauchen kein eigenes Gesetz; sie finden sich bereits im Marktverhalten. Lieferkettengesetze schränken dort bislang gelebte Freiheiten für das gute Gewissen von Aktivisten und Politikern ein.

Die zweite Anmaßung liegt in der Überdehnung des Wirkungsbereichs des Gesetzgebers, sei es nun der Bundesrepublik, sei es der EU. Mit der CSDDD hätte der europäische Gesetzgeber weit über die Europäische Union hinausgegriffen.

Postkoloniale Kanonenbootpolitik

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Bedeutung und Dimension von Arbeitsschutz oder Organisations- und Koalitionsfreiheit in Lieferkettenunternehmen sind aber Fragen, die von den Betroffenen national und vor Ort entschieden werden müssen. Die Politik nutzt – in einer Art postkolonialer wirtschaftlicher Kanonenbootpolitik – den Hebel der wirtschaftlichen Verflechtung, um eigene Ideen auch dort umzusetzen, wo sie weder Mandat noch Legitimität besitzt. Übrigens: Das deutsche Lieferkettengesetz hat davor nicht zurückgescheut.

Die dritte Anmaßung ist vielleicht die übelste. Es ist die Verpflichtung von Privaten, bei Sanktionsandrohung unter Einsatz des eigenen Vermögens als direktes Mittel der Politik zu wirken. Die Um- und Durchsetzung von Politik ist eine öffentliche Aufgabe, im Kern unter Zuhilfenahme von Steuern und Kontrollbürokratie.

Dieser Weg würde offensichtlich machen, in welch ungünstigem Verhältnis Kosten und Nutzen dieser Gesetze zueinander stehen. Auch deswegen werden unter Androhung harter finanzieller Sanktionen Private zu moralisch motivierten politischen Handlungen gezwungen. Dieses Politisieren des Eigentums ist ein Sündenfall.

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Das europäische Lieferkettengesetz war nicht nur ein ineffizientes bürokratisches Monster, sondern eine politische Zumutung für die Bürger und ihr Eigentum. Das Ende dieses Vorhabens stärkt nachhaltige europäische Werte wie Freiheit und Selbstwirksamkeit. Und das deutliche Signal aus Europa zeigt, wie dringend Deutschland über sein moralweltmeisterliches Lieferkettengesetz nachdenken muss.

Jochen Zimmermann ist seit 1998 Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensrechnung und Controlling der Universität Bremen.

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