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Deutschland Kinderwunsch in Deutschland

Regelrechter Absturz der Geburtenrate – Tiefstand wie zuletzt 2009

Politik-Redakteurin
Geburtenrate erreicht den tiefsten Stand seit 2009

In Deutschland bekommen Frauen weniger Kinder, das teilt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung mit. Die Geburtenrate fiel im Durchschnitt von Januar bis November 2023 auf 1,36 Kinder. Noch vor zwei Jahren lag sie bei 1,57 pro Frau.

Quelle: WELT TV

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Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung meldet einen „bemerkenswert starken und sehr plötzlichen“ Rückgang der Geburtenrate. Immer mehr Paare schieben ihren Kinderwunsch auf. Was steckt hinter der Entwicklung?

Es ist eine Nachricht, die selbst die erfahrenen Wissenschaftler des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) überrascht hat. Die multiplen Krisen, die Europa derzeit erschüttern, haben in den vergangenen beiden Jahren zu einem regelrechten Absturz der Geburtenrate in Deutschland geführt. Bekamen Frauen 2021 im Schnitt noch 1,57 Kinder, waren es im Herbst 2023 nur noch 1,36. Damit fiel die Geburtenrate innerhalb von nur zwei Jahren auf den niedrigsten Stand seit 2009.

Ein „bemerkenswert starker und sehr plötzlicher Rückgang“, wie es in einer Studie heißt, die das BiB gemeinsam mit der Universität Stockholm vorgelegt hat.

Quelle: Infografik WELT

Alleine ist Deutschland mit dieser Entwicklung nicht. Auch in anderen europäischen Ländern seien die Geburtenraten eingebrochen, sagt BiB-Forschungsdirektor Martin Bujard. Anders als in anderen Ländern hatte es in Deutschland zuvor aber einen Aufschwung bei den Geburtenraten gegeben. Nach vier Jahrzehnten historisch niedriger Geburtenraten von 1,2 bis 1,4 Kindern pro Frau wurden zwischen 2015 und 2021 plötzlich wieder Werte zwischen 1,5 bis 1,6 erreicht. Für Bujard eine Folge familienpolitischer Reformen wie Elterngeld und Kita-Ausbau. Aber auch die wachsende Migration spielte dabei eine Rolle – im Mittel bekämen die Zuwanderinnen der ersten Generation mehr Kinder.

Selbst die Corona-Pandemie hat daran zunächst nichts geändert. Während die Geburtenrate in Spanien um 20 Prozent einbrach, blieb sie in Deutschland stabil. Sogar einen leichten Aufwärtstrend konnten die Forscher neun Monate nach Ende des ersten Lockdowns feststellen. „Ich nenne das den Cocooning-Effekt“, sagt Bujard. „Viele Paare sind im Lockdown enger zusammengerückt und haben den Stellenwert der Familie neu schätzen gelernt.“ Dann aber, mit dem zweiten, harten Lockdown, sei dieser Effekt verpufft. Viele Paare hätten ihren Kinderwunsch auch aufgeschoben, um erst einmal die Covid-Impfung abzuwarten.

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Nach einer leichten Erholung seien die Geburtenraten dann ab Herbst 2022 erneut eingebrochen. „Der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel haben die Menschen zusätzlich verunsichert. In einer solchen Zeit multipler Krisen setzen viele ihren eigentlich vorhandenen Kinderwunsch nicht um“, sagt Bujard.

Ob diese Entwicklung von Dauer sein wird, aus dem aufgeschobenen also auch ein aufgehobener Kinderwunsch wird, vermag er noch nicht abzuschätzen. „Wichtig ist, dass Politik und Gesellschaft das positive Narrativ entwickeln, dass man Krisen auch wieder in den Griff bekommen kann, damit junge Menschen nicht den Mut verlieren“, sagt der BiB-Forscher. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei in den vergangenen Jahren zwar viel getan worden. „Der Mental Load wird aber unterschätzt. Den können Kita und Schule nicht wegorganisieren – und er wird eher von den Müttern getragen als von den Vätern.“

Fachkräftemangel in den Kitas schreckt Paare ab

Auch der sich zuspitzende Fachkräftemangel in den Kitas mache sich zunehmend bemerkbar. „Die Kindertagesbetreuung wird häufig nicht mehr als verlässlich erlebt“, sagt Bujard. „Das spricht sich herum. Und das schreckt Paare mit Kinderwunsch auch ab.“

Eine Beobachtung, die zuletzt auch das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) mit seiner „Vermächtnisstudie“ gemacht hatte. Demnach verliert die Norm, dass eigene Kinder wichtig sein sollten, deutlich an Kraft – und zwar über jeweiligen Bildungsstand oder Einkommen der Befragten hinweg. „Junge Frauen finden es zunehmend schwierig, Kind und Karriere miteinander zu vereinbaren. Wir sehen, dass Frauen dann eher auf Kinder verzichten wollen als auf den Beruf“, sagt WZB-Chefin Jutta Allmendinger.

Im Erwerbsleben gehe es Frauen fast besser als in der Familie, wo ihre Verhandlungsposition nach wie vor schwach sei, sagt die Soziologin. „Männer müssen sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie Vollzeit erwerbstätig sind. Von den Frauen fordert man, dass sie mit dem Mann über die Haus- und Pflegearbeit verhandeln. Egal, was sie machen, sie müssen sich permanent rechtfertigen.“ Hinzu komme, dass das Angebot für Kinderbetreuung nicht ausreiche. „Alles in allem ist das für Frauen eine No-win-Situation. Die gesunkene Geburtenrate lässt vermuten, wo Frauen für sich die Lösung dieses Dilemmas sehen.“

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Im Familienministerium werden die neuen Zahlen hingegen noch mit Vorsicht aufgenommen. Mit dem deutlichen Rückgang der Geburten sei Deutschland in Europa nicht allein, sagte eine Sprecherin. „Festzuhalten ist: Menschen setzen ihren Kinderwunsch aktuell seltener um. Die Post-Corona-Zeit sowie die aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen verlangen den Menschen viel ab. In unsicheren und wirtschaftlich angespannten Zeiten verschieben die Menschen ihre Familienplanung lieber. Das sehen wir gerade.“ Im Gegensatz zur Geburtenrate seien die Kinderwünsche der jungen Menschen jedoch stabil – die meisten Menschen wünschten sich nach wie vor durchschnittlich zwei Kinder.

Umso wichtiger sei es, Familien bedarfsgerecht zu unterstützen: finanziell, durch eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Kinderbetreuung und die Unterstützung partnerschaftlicher Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so die Sprecherin. „Hier müssen wir gerade jetzt in eine fortschrittliche Familienpolitik investieren, um Familien und künftigen Eltern Sicherheit zu geben und den Menschen Mut für Familiengründung zu geben.“

Das betont auch Leni Breymaier, familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag. „Unser Ziel ist, dass Frauen sich nicht zwischen Kindern, Selbstständigkeit oder Beruf und Karriere entscheiden müssen, sondern eine echte Wahlmöglichkeit haben“, so Breymaier. Zentral sei die faire Verteilung privater Sorge- und Erwerbsarbeit. Konkret nannte Breymaier unter anderem die geplante zweiwöchige bezahlte Freistellung für den Partner oder die Partnerin nach der Geburt – ein Projekt, das zuletzt allerdings in Stocken geraten war.

Angesichts der demografischen Entwicklung und der Herausforderungen für die Sozialsysteme habe die Ampel in der Migrationspolitik mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz das richtige Signal gesetzt, sagt Breymaier. „Rechtspopulistische Rufe nach mehr ‚deutschen Kindern’ und einem Rollback in der Frauen- und Familienpolitik sind unerträglich. Diesen stellen wir uns vehement entgegen.“

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Die Union äußerte angesichts der neuen Zahlen Kritik an der Ampel-Politik. Der rapide Absturz der Geburtenrate zeige einmal mehr die Verunsicherungen bei Familien, ausgelöst durch internationale Krisen und Inflation, sagt die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher (CDU). „Der Absturz verdeutlicht aber auch, dass das Vertrauen der Familien in die Politik massiv verloren gegangen ist. Die Ampel schafft es mit ihrer undurchdachten und ideologisch geprägten Gesellschaftspolitik nicht, den Familien Vertrauen zurückzugeben.“

So würden wichtige familienpolitische Maßnahmen wie die Investitionshilfen für den Ausbau von Kita-Plätzen „einfach aufkündigt“, große Reformprojekte wie die Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dauerten ewig, beklagte Breher. „Was wir brauchen, ist eine pragmatische und bedarfsgerechte Familienpolitik. Nur mit einer verlässlichen Familienpolitik schaffen wir es, die Geburtenrate wieder zu steigern.“

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