Die Linken, vor allem die europäischen Linken, haben Donald Trump nie wirklich verstanden. Sie glaubten immer, Trump sei sozusagen die Fortsetzung von Ronald Reagan und George W. Bush: ein außenpolitischer Falke, der Amerikas Feinden lieber mit Krieg droht, als an diplomatischen Lösungen zu arbeiten, und so die Welt in ein nukleares Desaster führen könnte.
Manche klassischen Konservativen schätzen Trump aus demselben Grund ebenso falsch ein: Sie denken, Trump sei eigentlich recht nützlich, weil der Mann dermaßen irre und aggressiv wirke, dass Diktatoren ihm gegenüber lieber klein beigeben, als den Atomkrieg zu riskieren.
Die jüngsten skandalösen Äußerungen von Donald Trump sollten beide eines Schlechteren belehrt haben: Sinngemäß erzählte Trump in einer Wahlkampfrede, er habe dem Regierungschef eines Nato-Landes gesagt, Amerika werde ihn nicht mehr gegen Wladimir Putin verteidigen, wenn dieses Land seinen vorschriftsmäßigen Obolus zur Verteidigung nicht leiste. Mehr noch, er, Trump, werde Putin zu verstehen geben, er könne mit diesem Nato-Land dann machen, was er wolle.
Sehen wir großzügig darüber hinweg, dass die Anekdote vermutlich erfunden ist und es diese Unterhaltung mit einem Nato-Regierungschef in dieser Form wahrscheinlich nie gegeben hat. Sehen wir ferner davon ab, dass Trump sich offenbar vorstellt, das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu den anderen Nato-Ländern funktioniere wie Schutzgelderpressung bei der Mafia: Amerika verteidigt, die anderen zahlen; wer säumig ist, wird mit gebundenen Händen und Füßen dem anderen Mafiaboss vor die Haustür gelegt.
In Wahrheit ist es natürlich keineswegs so: Jeder Nato-Staat ist für seine Verteidigung selbst verantwortlich. Er verpflichtet sich allerdings, mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben; aber auch, wer – wie Deutschland – hinter dieser Forderung zurückbleibt, würde im Angriffsfall von den Bündnispartnern verteidigt.
Übrig bleibt nach dieser Vorrede folgende Ungeheuerlichkeit: Donald Trump, einer der beiden voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten in den Vereinigten Staaten, hat Wladimir Putin, einen Diktator, der im Moment einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt, ermuntert, ein Nato-Land anzugreifen.
In den USA haben sich Journalisten angewöhnt, Trump wie ein vergreistes, dummes und böses Kind zu behandeln, dessen Äußerungen man ebenso wenig ernst nehmen muss wie die Wutanfälle eines Dreijährigen. Die europäische Medienöffentlichkeit täte gut daran, diesem Beispiel nicht zu folgen.
Donald Trump pur
Trump wird, wenn kein Wunder geschieht, gute Chancen haben, erneut ins Weiße Haus einzuziehen. Und in einer zweiten Amtszeit wird er nicht von erfahrenen Leuten eingehegt werden, die seine gröbsten Dummheiten überhören, seine brutalsten Befehle ignorieren, seine Ausbrüche von Wahnsinn dämpfen. Nein, wir würden Donald Trump pur erleben.
Donald Trump will die Nato abschaffen. Dazu ist gar kein formeller Austritt Amerikas aus dem Bündnis nötig. Trump muss nur am ersten Tag seiner Präsidentschaft erklären, dass die Vereinigten Staaten sich nicht mehr an Artikel fünf des Nato-Vertrags gebunden fühlen. Fertig; schon stünde Europa ohne den nuklearen Schutzschirm der Amerikaner da.
Dass Trump die europäischen Verbündeten verachtet und wahrscheinlich auch nicht bereit wäre, Taiwan gegen Festlandchina zu verteidigen, heißt aber keineswegs, dass wir es mit einem friedliebenden Mann zu tun hätten. Große Teile seiner Basis – und zwar just dieselben Leute, die gern jegliche Militärhilfe für die Ukraine einstellen würden – wären sofort Feuer und Flamme, wenn amerikanische Soldaten in Mexiko einmarschieren.
Die Welt zerfällt in Imperien
Donald Trump hat eine außenpolitische Vision. Diese außenpolitische Vision wurde von Carl Schmitt entwickelt, und sie lautet: „Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“.
Auf Deutsch heißt das: Die Welt zerfällt in Imperien, und in jedem dieser Imperien kann der jeweils Stärkste tun, was ihm gefällt, ohne dass jemand von außen ihm in den Arm fallen dürfte. Es gibt kein internationales Recht, es gibt nur das Recht des Stärkeren.
Natürlich hat Donald Trump Carl Schmitt nie gelesen. Auf solche Ideen kommt man instinktiv, wenn man das ist, was im Englischen als „bully“ bezeichnet wird. Der „bully“ ist das Kind auf dem Schulhof, das die Schwächeren verprügelt.
Den „bully“ kann man erfahrungsgemäß nur stoppen, indem man ihm so fest etwas auf die Nase gibt, dass das Blut spritzt. Wann werden die Europäer endlich den Ernst der Lage begreifen und ihre eigene Verteidigung organisieren?